Freitag, 4. März 2011

Aus aktuellem Anlass: Militärische Interventionen und staatliche Souveränität

Die völkerrechtlichen Grundlagen für ein militärisches Eingreifen in einem anderen Staat im Überblick
Angesichts der fortschreitenden Revolution in Libyen und des geradezu verzweifelt anmutenden letzten Um-sich-Schlagens des Gaddafi-Regimes werden zunehmend Stimmen insbesondere aus den USA und Großbritannien lauter, die ein militärisches Eingreifen zum Schutze der Bevölkerung ins Spiel bringen. So moralisch gerechtfertigt es sein mag, ein Volk vor seiner Regierung zu schützen, die mit Kampfflugzeugen Demonstrationen „auflösen“ lässt, so drängend stellt sich zugleich auch die Frage, ob und wenn ja, wie dies völkerrechtlich überhaupt zu bewerkstelligen ist. Den rechtlichen Rahmen in aller Kürze darzustellen, ist das Anliegen dieses Beitrages, damit das „Säbelrasseln“ der großen westlichen Demokratien in der Diskussion auch richtig eingeschätzt werden kann.
Die staatliche Souveränität
Grundsätzlich gilt nach Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta ein Interventionsverbot. Danach haben die Vereinten Nationen als Organisation die Souveränität jedes Staates zu respektieren und dürfen nicht „in Angelegenheiten, die ihrem Wesen nach zur inneren Zuständigkeit eines Staates gehören“(Art. 2 Ziff. 1 UN-Charta; vgl. hierzu auch die Dokumentation des SEF-Symposiums 2007 „Die „Schutzverantwortung“ (R2P), „Paradigmenwechsel im Völkerrecht“, S. 5). Aufgrund dieser Souveränität haben die Staaten mithin das Recht, ihre eigenen Angelegenheiten auch selbst und ohne Einmischung von außen zu regeln. eingreifen. Dies gilt darüber hinaus völkergewohnheitsrechtlich auch für jeden einzelnen Staat. Erst die innere und äußere Souveränität garantiert im internationalen Rechtsverkehr, dass alle Staaten grundsätzlich rechtlich gleichwertig einander gegenüberstehen
Grundsätzlich.
Nach Art. 1 Ziff. 3 UN-Charta ist es aber auch das Ziel der Vereinten Nationen, „… die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten für alle ohne Unterschied der Rasse, des Geschlechts, der Sprache oder der Religion zu fördern und zu festigen“. Was nun aber, wenn ein Staat in eklatanter Weise gegen die Menschenrechte verstößt? Gilt auch in solch einem Falle das genannte (kodifizierte wie auch völkergewohnheitsrechtliche) Interventionsverbot und das in Art. 2 Ziff. 4 UN-Charta niedergelegte Gewaltverbot? Gilt beides also absolut?
Zwar sieht Kapitel VI der UN-Charta grundsätzlich friedliche Mittel zur Konfliktlösung vor, Kapitel VII und Art. 51 UN-Charta zeigen aber, dass es auch anders geht, dass es zulässige Ausnahmen vom Gewaltverbot gibt. Art. 51 UN-Charta enthält insoweit das Recht auf individuelle oder kollektive Selbstverteidigung und Kapitel VII enthält die Ermächtigung zu – auch militärischen – Maßnahmen, die von den Vereinten Nationen im Falle der Bedrohung oder des Bruchs des Friedens und bei Angriffshandlungen rechtmäßigerweise ergriffen werden dürfen.
Liegen die Voraussetzungen des Art. 39 UN-Charta oder des Art. 51 UN-Charta vor, darf vom grundsätzlichen Gewaltverbot abgewichen und in der Konsequenz auch in die Souveränität eines anderen Staats eingegriffen werden.
Dabei soll das Gewaltmonopol letztlich jedoch immer beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen liegen, wie aus Artt. 24 Ziff. 1, 39, 51 UN-Charta deutlich hervorgeht. Er stellt die Voraussetzungen fest und ermächtigt letztlich immer zur Gewaltanwendung. An solche Entscheidungen sind nach Art. 25 UN-Charta alle Mitgliedstaaten gebunden. Dabei besteht jedoch das nicht zu unterschätzende Problem, dass die fünf ständigen Sicherheitsratsmitglieder China, Frankreich, Großbritannien, Russland und die USA nach Art. 27 Ziff. 3 UN-Charta ein Veto-Recht haben, wodurch sie die Ermächtigung zu Zwangsmaßnahmen verhindern können.
Wie stellt sich nun das Verhältnis zwischen Menschenrechten und der staatlichen Souveränität dar? Muss man untätig zuschauen, wenn eine Diktatur die Rechte des von ihr unterjochten Volkes nicht nur im übertragenen Sinne mit Füßen tritt? Gibt es nicht auch eine Verantwortung der internationalen Gemeinschaft für den Schutz der Menschenrechte?
Nach dem oben Gesagten würde ein einseitiger Militäreinsatz, auch wenn er allein dem Ziel dient, die Menschenrechte des unterdrückten Volkes zu wahren, moralisch vielleicht oder womöglich gewiss geboten sein, völkerrechtlich würde er aber gegen das Gewaltverbot verstoßen, wenn er nicht vom Sicherheitsrat autorisiert wurde (vgl. hierzu das Beispiel des Militäreinsatzes von Vietnam in Kambodscha bei v. Schorlemer, Policy Paper 28 der Stiftung Entwicklung und Frieden: „Die Schutzverantwortung als Element des Friedens“, S. 3). Würde er aber nicht auch gegen das Interventionsverbot verstoßen, wenn der Sicherheitsrat ihn autorisieren würde?
Im Laufe der vergangenen 10 Jahre änderte sich insoweit das Verständnis von Souveränität durch das – mittlerweile wohl auch gemeinhin anerkannte (insoweit vorsichtig von einem „Recht im Werden“ sprechend Hobe, Einführung in das Völkerrecht, Kap. 10.1.5, S. 357) – Konzept der responsibility to protect (R2P, „Schutzverantwortung“). Unter ihr versteht man eine „Solidaritätspflicht, die etwa im Falle von Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schweren Kriegsverbrechen greift – kurz: bei den schlimmsten vorstellbaren humanitären Katastrophen, die nicht natürlichen Ursprungs sind und als „Menschheitsverbrechen“ typischerweise von Staaten ausgehen bzw. von ihnen toleriert werden“(v. Schorlemer, aaO., S. 2). Diese Schutzverantwortung äußert sich in drei Dimensionen (nach v. Schorlemer, aaO., S. 3 f.):
  1. Prävention (responsibility to prevent)
  2. Reaktion (responsibility to react)
  3. Wiederaufbau (responsibility to rebuild)
Davon umfasst ist auch die strafrechtliche Ahndung solcher Verbrechen, die präventiv abschreckend, aber, wenn es erst soweit gekommen ist, auch repressiv bestrafend wirken muss (vgl. v. Schorlemer, aaO., S. 6).
Zuallererst treffen diese Schutzpflichten primär aber immer den Territorialstaat, auf dessen Gebiet sich diese Menschheitsverbrechen abspielen. Wenn dieser jedoch unfähig oder nicht willens ist, seiner Bevölkerung diesen Schutz zu gewähren, so besteht eine subsidiäre Verantwortlichkeit der internationalen Gemeinschaft (vgl. v. Schorlemer, aaO., S. 9). Kommt ein Staat seiner Schutzpflicht insoweit also nicht nach, so können die Vereinten Nationen über ihre Hauptorgane des Sicherheitsrats, der Generalversammlung und des Internationalen Gerichtshofes auf Grundlage der UN-Charta über die Gewaltanwendung gegen bzw. in einem solchen Staat entscheiden, der seine Bevölkerung faktisch nicht gegen Menschenrechtsverletzungen schützt. Unilaterale oder mulitlaterale Aktionen von „Koalitionen der Willigen“ ohne UN-Mandat sind damit allerdings noch immer völkerrechtswidrig (vgl. v. Schorlemer, aaO., S. 8 f.). Immerhin stünde solch eine ungeschriebene Ausnahme vom Gewaltverbot auch im Widerspruch zur Philosophie der UN-Charta, die unilaterale Gewaltanwendungen grundsätzlich ablehnt und kollektive Gewaltanwendungen auch immer nur mit einem Sicherheitsratmandat gestattet (vgl. Hobe, Einführung in das Völkerrecht, Kap. 10.1.5, S. 356).
Auf den ersten Blick mag dies hinsichtlich des Interventionsverbots des Art. 2 Ziff. 7 UN-Charta als Aushöhlung der staatlichen Souveränität erscheinen (Darstellung bei v. Schorlemer, aaO., S. 11), was sich auch nicht dadurch befriedigend lösen lässt, indem man Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu universalen Tatbeständen erklärt, die nicht länger unter die inneren Angelegenheiten eines Staates im Sinne dieser Vorschrift fallen (vgl. die Darstellung in der Dokumentation des SEF-Symposiums 2007 „Die „Schutzverantwortung“ (R2P), „Dem Missbrauch vorbeugen“, S. 23). Man kann dies – mit v. Schorlemer – jedoch auch so sehen, dass sich die Mitgliedstaaten spätestens durch die Teilnahme u. a. an den vier Genfer Konventionen, den beiden Zusatzprotokollen, der Völkermordkonvention und der Unterwerfung unter die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs, mit anderen Worten durch die Zugehörigkeit zur internationalen Gemeinschaft selbst unmittelbar dem Völkerrecht unterstellt haben. Damit wurde deren staatliche Souveränität um die Pflicht zum Schutze der Menschenrechte „angereichert“: sie ist „gekoppelt an die Achtung der Menschenrechte und den Schutz des Individuums.“ (v. Schorlemer, aaO., S. 11). Es geht bei der Souveränität also nicht um die Frage des faktischen Könnens, sondern zunehmend um die Frage des rechtlich determinierten Dürfens im Sinne einer „souvereignty under law“ (Hobe, Einführung in das Völkerrecht, Kap. 10.2, S. 366).
Wenn die internationale Gemeinschaft vor den Gräueltaten eines Regimes also nicht die Augen verschließt, sondern nach Ausschöpfung aller präventiven Möglichkeiten zur militärischen Gewalt als ultima ratio greifen muss, stellt dies keinen Bruch der staatlichen Souveränität nach dem Maßstab des Völkerrechts dar. Das Völkerrecht kann vielmehr solche militärischen Interventionen aufgrund der Verpflichtung auf die Menschenrechte geradezu gebieten, wenn der Staat selbst nicht fähig oder willens ist, für deren Einhaltung zu sorgen.
Da aber letztlich immer der Sicherheitsrat entscheiden muss, bleibt dies (auch) ein politisches Problem, dessen Lösung von politischen Interessenlagen abhängen kann. Jedoch zeigt bereits die Existenz eines solchen Konzepts wie das von der Schutzverantwortung, dass die Staaten nicht völlig willkürlich Situationen wie derzeit in Libyen beurteilen können. Maßstäbe entwickeln sich und damit auch Ermessenreduzierungen.
Literaturempfehlungen und weiterführende Links:
  • Kokott, Juliane / Doehring, Karl / Buergenthal, Thomas, Grundzüge des Völkerrechts, 3. Auflage 2003, Kapitel 6: „Die Vereinten Nationen und die Anwendung von Gewalt“
  • Hobe, Stephan, Einführung in das Völkerrecht, 9. Auflage 2008, Kapitel 10 und dort insbesondere Kap. 10.1.4.3 und Kap. 10.1.5
  • Schwarz, Michael, Dokumentation des SEF-Symposiums 2007: „Die „Schutzverantwortung“ (R2P), Fortschritt, leeres Versprechen oder Freibrief für „humanitäre“ Intervention?“ (PDF)
  • v. Schorlemer, Sabine, „Die Schutzverantwortung als Element des Friedens – Empfehlungen zu ihrer Operationalisierung“, in: Policy Paper 28 (2007) (PDF)
  • Heintze, Hans-Joachim, „Staatliche Souveränität vs. Menschenrechte“, Legal Tribune Online (28.02.2011)
  • Peters, Anne, Humanity as the A and O of Sovereignty, European Journal of International Law 20 (2009), 513-544 (PDF)

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