Montag, 14. Februar 2011

Deutsche Übersetzung der ungarischen Medienregelung

Mit diesem Blogbeitrag will die Fakultät VSR Ihre Reihe von Hintergrundinformationen zu den „Neuregelungen im ungarischen Medienrecht“ starten.

Aufgrund der heftigen Diskussionen auf nationaler und europäischer Ebene über mögliche Verletzungen der Pressefreiheit durch die ungarischen Mediengesetze, soll den Lesern dieses Blogs das notwendige Hintergrundwissen, zur Teilhabe an der wissenschaftlichen Diskussion, an die Hand gegeben werden. Eine eigene Stellungnahme wird hierbei bewusst vermieden. Der Blogleser soll vielmehr in die Lage versetzt werden, sich ein eigenes Bild von der Sachlage machen zu können. Dazu gehört an erster Stelle, die Erfassung des Inhalts der strittigen ungarischen Regelungen. Denn wer den tatsächlichen Wortlaut eines Gesetzes nicht kennt, kann dieses schlichtweg auch nicht auf seine Vereinbarkeit mit der Pressefreiheit oder sonstigen Grundrechten hin überprüfen. Insofern hat sich Frau Dóra Frey, LL.M. mit der deutschen Übersetzung der ungarischen Vorschriften im Medienrecht befasst. Ihr ist an dieser Stelle für den erheblichen Arbeitsaufwand ganz herzlich zu danken. Da die gesetzlichen Regelungen sehr umfangreich sind, werden die einzelnen Teile innerhalb dieses Blogs Schritt für Schritt veröffentlicht.

Hier finden Sie nun den ersten Teil zu den „Grundzügen der neuen ungarischen Medien-Regelung“:

Grundzüge der neuen ungarischen Medien-Regelung
(erster Teil)

Die neue ungarische Medien-Regelung besteht aus zwei Gesetzen, die Ende des Jahres 2010 verabschiedet wurden und am 1. Januar 2011 in Kraft getreten sind.
Das CIV. Gesetz von 2010, oft als „Medien-Verfassung“ bezeichnet, wurde am 2. November 2010 von dem ungarischen Parlament angenommen und am 9. November verkündet. Es ist ein verhältnismäßig kurzes Gesetz und besteht aus 25 Paragraphen.
Das CLXXXV. Gesetz von 2010, im Allgemeinen als „Mediengesetz“ bezeichnet, wurde am 20. Dezember 2010 verabschiedet und am 31. Dezember verkündet. Es trat im Wesentlichen am nächsten Tag (1. Januar 2011) in Kraft, einige Paragraphen am 2. Januar. Das Gesetz beinhaltete 230 Paragraphen, ab § 207 ff. handelt es sich um Übergangsbestimmungen, die eine Reihe andere Gesetze modifizieren – darunter auch das Gesetz CIV. 2010.
Die beiden Gesetze bilden eine Einheit, sie enthalten mehrere Verweise aufeinander und sind gemeinsam zu betrachten. 

Anmerkung: In der folgenden Übersetzung handelt es sich bei den kursiv gesetzten Textstellen um wortwörtliche Übersetzungen.

Das Gesetz CIV. 2010

Das Gesetz CIV. 2010 – offiziell, das „Gesetz über die Pressefreiheit und über die Grundregeln der Medieninhalte“ genannt – ist wie der Titel besagt ein Rahmengesetz. Es ist ein so genanntes 2/3-Gesetz, laut § 61 Abs. (3) der ungarischen Verfassung, wonach ein Gesetz über die Pressefreiheit mit Zweidrittelmehrheit der anwesenden Parlamentarier zu verabschieden ist.
Die Präambel stützt sich auf § 61 der ungarischen Verfassung, als Grund für die Neuregelung werden die technische Entwicklung, die Bedürfnisse einer demokratischen Gesellschaft, die Wahrung der nationalen und kulturellen Identität, die Integrität der Gesellschaft und die Erfordernisse der internationalen und europarechtlichen Regelungen genannt.
Das Gesetz besteht aus 11 Titeln, wobei Titel I. ausschließlich Begriffsbestimmungen beinhaltet und die Titel VIII-XI Übergangsvorschriften und Inkrafttreten regeln sowie die einschlägigen europarechtlichen Normen nennen.

Von den Begriffsbestimmungen bedürfen nur die Begriffe „lineare und abrufbare Medienangebote“ eine Erklärung.
„Abrufbare Medienangebote“ sind Medienangebote, bei denen der Verbraucher auf Anfrage, zu einem beliebigen Zeitpunkt, den vom Anbieter zur Verfügung gestellten Medieninhalt anschauen, oder anhören kann. (praktisch: Angebote im Internet)
„Lineare Medienangebote“ sind Angebote, die nach einem Programmplan zu einem bestimmten Zeitpunkt angehört oder angeschaut werden können. (Fernseh- und Rundfunkprogramme)

Titel II. regelt die räumliche Geltung des Gesetzes. Laut § 2 Abs. (1) gilt das Gesetz für alle Medieninhalte und Presseerzeugnisse, die von einem in der Republik Ungarn ansässigen Medieninhalt-Anbieter geleistet wurden.
Ein Medieninhalt-Anbieter gilt dann als in Ungarn ansässig (§ 2 (2)), wenn
-          er mit einer im Besitz der Republik Ungarn befindlichen Frequenz oder mit einer für Ungarn bestimmten elektronischen Identifizierung zugänglich ist (a))
-          seine zentrale Geschäftsführung in Ungarn liegt und die mit den Medieninhalten zusammenhängenden Entscheidungen der Redaktion in Ungarn getroffen werden (b))
-          wenn sich von den oben Genannten nur ein Teil in Ungarn befindet, aber die Mehrheit der Angestellten in Ungarn tätig ist (c))
-          wenn die Mehrheit der Angestellten in Ungarn und in anderen Ländern tätig ist, aber die zentrale Geschäftsführung in Ungarn liegt (d))
-          wenn von der zentralen Geschäftsführung und der redaktionellen Entscheidungsträger nur ein Teil in Ungarn liegt, aber der Anbieter seine Tätigkeit in Ungarn begonnen hat und eine kontinuierliche und tatsächliche Beziehung zu der ungarischen Wirtschaft aufrecht erhält (e))
-          wenn sich eine Satelliten-Übermittlungsstation in Ungarn befindet oder eine sich im Eigentum der Republik Ungarn befindliche Übermittlungskapazität eines Satelliten benutzt wird (Abs. (3))
-          wenn durch die oben genannten Kriterien nicht bestimmt werden kann, ob der Anbieter unter die Jurisdiktion von Ungarn oder einem anderen Mitgliedstaat der EU fällt, gelten die Regelungen des Art. 49-55 AEUV für die Bestimmung der Zugehörigkeit (Abs. (4))
-          Für Mediendienstleistungen und Presserzeugnisse, die nicht unter Abs. (1)-(4) fallen, aber auf Ungarn ausgerichtet sind, in Ungarn vertrieben oder veröffentlicht werden, gilt das Gesetz unter den in §§ 176-180 des Gesetzes CLXXXV. (Medieng.) von 2010 gestellten Bedingungen (§ 3 Abs. (1))

-          die Geltung des Gesetzes erstreckt sich auf die auf Ungarn ausgerichteten oder dort vertriebenen oder veröffentlichten Medieninhalte und Presseerzeugnisse, die in keinem Mitgliedsstaat des EWR ansässig sind (Abs. (2))
-          das Gesetz gilt für alle Medieninhalt-Anbieter, die die in den Geltungsbereich des Gesetzes fallenden Inhalte anbieten oder Presseerzeugnisse herausgeben (Abs. (3))
-          im Fall eines Verstoßes gegen dieses Gesetzes, kann die Nationale Medien- und Telekommunikationsbehörde nach den Regeln des Mediengesetzes vorgehen und die dort genannten Rechtfolgen anwenden

Titel III regelt die „Pressefreiheit“ wie sie in der ungarischen Verfassung verankert ist.
-          Gewährleistet werden: Unabhängigkeit, Freiheit und Vielfalt. Die Ausübung der Pressefreiheit darf jedoch kein Straftatbestand erfüllen, nicht zu Straftaten aufrufen, darf die öffentlichen Sitten und die Persönlichkeitsrechte von anderen nicht verletzen. (§ 4)
-          Mediendienstleistungen und die Veröffentlichung von Presseerzeugnissen können per Gesetz zu einer amtlichen Registrierung verpflichtet werden. Die Voraussetzungen der Registrierung dürfen die Pressefreiheit nicht beinträchtigen.“ (§ 5 (1)).
-          Die Medieninhalt-Anbieter und deren Mitarbeiter dürfen die Identität von Personen, die Informationen übermittelt haben, geheim halten, außer wenn qualifizierte Daten widerrechtlich übergeben wurden (§ 6 (1)). Die Geheimhaltung kann auch in Verwaltungs- und Gerichtsverfahren geltend gemacht werden, wenn die Veröffentlichung der Information von öffentlichem Interesse war (§ 6 (2)). Gerichte oder Behörden können in besonders begründeten Fällen – aus Gründen der nationalen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Aufklärung sowie Vorbeugung von Straftaten – den Medieninhalt-Anbieter und dessen Mitarbeiter zur Offenlegung der Informationsquelle verpflichten (§ 6 (3))
-          Die sachliche Freiheit und Unabhängigkeit von Journalisten und Redakteuren ist vor dem Einfluss von Inhabern und Förderer geschützt – auch arbeitsrechtlich (§ 7)
-          Die Medieninhalt-Anbieter und deren Mitarbeiter können nicht zur Rechenschaft gezogen werden für Rechtsverletzungen, die begangen wurden um Informationen, die vom öffentlichen Interesse sind, zu besorgen – falls die Information anders nicht zu beschaffen gewesen wäre und die Rechtsverletzung nicht unverhältnismäßig ist (§ 8)
-          Staatliche Organe und Selbstverwaltungen, ihre Einrichtungen, Amtsträger und Wirtschaftsgesellschaften die in öffentlicher Hand sind, sind verpflichtet, die im gesonderten Gesetz geregelten Informationen, von öffentlichem Interesse, den Medieninhalt-Anbietern zur Verfügung zu stellen (§ 9)

Titel IV Die Rechte des Publikums
-          Alle haben das Recht hinreichend über das örtliche, nationale und europäische öffentliche Leben, sowie über die für die Bürger der Republik Ungarn und für Angehörige der ungarischen Nation wichtigen Nachrichten informiert zu werden.“ (§ 10)
-          „In Ungarn sind Medien des öffentlichen Rechts tätig um die nationale und europäische Identität, die nationale, familiäre, ethnische und religiöse Gemeinschaft zu wahren und zu festigen, die ungarische Kultur und Sprache, sowie die der Minderheiten, zu pflegen und zu bereichern und um die informationellen und kulturellen Bedürfnisse der Bürger zu erfüllen.“ (§ 11)

Titel V Berichtigung
-          Wenn über jemandem in einem Medieninhalt unwahre Tatsachen behauptet oder angedeutet werden, oder wenn wahre Tatsachen im falschen Licht dargestellt werden, hat der Betroffene das Recht auf Berichtigung – wobei die wahren Tatsachen zu nennen sind.
-          Die Berichtigung soll bei Tageszeitungen, Internetseiten und Nachrichtenagenturen innerhalb von 5 Tagen, bei abrufbaren und bei linearen Mediendienstleistungen innerhalb von 8 Tagen nach der Beschwerde, bei anderen Presseerzeugnisse in der ersten Ausgabe nach 8 Tagen nach Eingang der Beschwerde, in gleicher Form veröffentlicht werden (§ 12)

Titel VI Die Pflichten der Presse
-          „Die Gesamtheit der Medieninhalt-Anbieter haben die Aufgabe, glaubwürdig, schnell und genau über die aktuellen Fragen des örtlichen, nationalen und europäischen öffentlichen Lebens, sowie über die für die Bürger der Republik Ungarns und für die Mitglieder der ungarischen Nation bedeutende Ereignisse zu berichten.“ (§ 13 (1)). Die linearen und abrufbaren Medieninhalte sind verpflichtet in den von ihnen veröffentlichten Informations- und Nachrichtenprogrammen über wichtige Dinge und diskutierte Fragen vielseitig, tatsachengetreu, zeitgemäß, sachlich und ausgeglichen zu berichten. (§ 13 (2))
-          „Die Menschenwürde ist von den Medieninhalt-Anbietern in den Medieninhalten und bei deren Anfertigung stets zu achten“.(§ 14 (1)) Es ist verboten, Personen, die sich in einer ausgelieferten und erniedrigenden Situation befinden, zwecklose und verletzende Medieninhalte zu zeigen (§ 14 (2))
-          Es ist verboten, die Einwilligung in die Veröffentlichung einer für die Veröffentlichung bestimmten Äußerung zu missbrauchen. Der Medieninhalt-Anbieter ist verpflichtet, die für die Veröffentlichung bestimmte Äußerung der äußernden Person – auf seine/ihre Bitte hin – vorzuzeigen. Diese darf nicht veröffentlicht werden, wenn die äußernde Person hierauf keine Einwilligung erteilt, weil die Aussage wesentlich geändert wurde und die Änderung für den Äußernden verletzend ist. Die Einwilligung kann bei einem Missbrauch zurückgezogen werden, wenn die Äußerung nicht in Bezug auf ein Ereignis des örtlichen, nationalen oder europäischen öffentlichen Lebens oder auf ein für die Bürger Ungarns und Mitglieder der ungarischen Nation wichtigen Ereignisses hin getroffen wurde, oder die Aussage nicht von einer Amtsperson oder öffentliche Aufgaben erfüllenden Person oder Politiker in Zusammenhang mit dem bekleideten Amt oder Stelle getroffen wurde, vorausgesetzt, dass die Rücknahme der Einwilligung zeitlich angemessen erfolgt und den Medieninhalt-Anbieter nicht unverhältnismäßig schädigt. Verträge die dieses Recht beeinträchtigen, sind nichtig. (§15)
-          „Die Medieninhalt-Anbieter sind verpflichtet die verfassungsmäßige Ordnung der Republik Ungarn zu achten und dürfen während ihrer Tätigkeit die Menschenrechte nicht verletzen.“ (§ 16)
-          „Der Medieninhalt darf nicht geeignet sein, Hass gegen Personen, gegen Nationen, gegen Gemeinschaften, gegen nationale, ethnische, sprachliche oder sonstige Minderheiten, oder gegen jegliche Mehrheiten, des Weiteren gegen Kirchen oder religiöse Gemeinschaften auszulösen.“ (§17 (1))
„Der Medieninhalt darf nicht geeignet sein, Personen, Nationen, Gemeinschaften, nationale, ethnische, sprachliche oder sonstige Minderheiten, jegliche Mehrheiten, des Weiteren Kirchen oder religiöse Gemeinschaften, offen oder verdeckt zu verletzen oder auszugrenzen.“ (§ 17 (2))
-          „Der Medieninhalt darf nicht geeignet sein, das Privatleben zu verletzen.“ (§ 18)
-          „In linearen Medienangeboten kann kein Medieninhalt veröffentlicht werden, welches die geistige, seelische, sittliche oder körperliche Entwicklung von Minderjährigen schwerwiegend beeinträchtigt, vor allem dadurch, dass es pornographisch ist, oder radikale bzw. ungerechtfertigte Gewalt zeigt.“ (§ 19 (1)) Die oben genannten Medieninhalte können in abrufbaren Medienangeboten nur so veröffentlicht werden, dass Minderjährige hierzu unter normalen Umständen keinen Zugriff haben. (§19 (2)). In Presseerzeugnissen können die oben genannten Inhalte nur so veröffentlicht werden, wenn gewährleistet ist, dass Minderjährigen keinen Zugriff hierauf haben. Wenn dies nicht möglich ist, soll die Gefahr durch besondere Kennzeichnung sichtbar gemacht werden. (§ 19 (3)) In linearen Medienangeboten können für Minderjährige gefährliche Inhalte nur gezeigt werden, wenn es gewährleistet ist – durch die Sendezeit oder andere technische Mittel – dass Minderjährige normalerweise keinen Zugriff hierauf haben. (§ 19 (4)) Näheres über den Schutz von Minderjährigen regelt ein gesondertes Gesetz (§ 19 (5))
-          Kommerzielle Inhalte sollen leicht erkennbar sein und sich von anderen Inhalten unterscheiden. Verdeckte kommerzielle Äußerungen sind verboten. Bei den kommerziellen Inhalten dürfen keine, nicht bewusst erkennbaren, Techniken angewendet werden. Die kommerziellen Inhalte dürfen religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen nicht verletzen. Die kommerziellen Inhalte dürfen nicht zu, für die Gesundheit, Sicherheit oder Umwelt, schädlichen Taten motivieren. In Medieninhalten darf keine Werbung für Tabakwaren, Waffen, Munition, Sprengstoffe, verschreibungspflichtige Medikamente oder medizinische Therapien gemacht werden, ein gesondertes Gesetz kann hierzu Ausnahmen bestimmen. Der Sponsor eines Medieninhalts soll vor, nach oder während der Veröffentlichung benannt werden. Der so unterstützte Medieninhalt darf nicht zur Anschaffung von bestimmten Waren oder der Inanspruchnahme von bestimmten Dienstleistungen motivieren. Der Sponsor darf den Medieninhalt und die Veröffentlichung, so, dass es die Verantwortung des Anbieters und die Freiheit der Redaktion berührt, nicht beeinflussen. (§ 20)

Titel VII Haftungsregeln
-          Die Medieninhalt-Anbieter entscheiden im Rahmen des Gesetzes selbständig über die Medieninhalte und haften dafür (§ 21)

Bearbeitet von Dóra Frey

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen