Montag, 7. Februar 2011

Ein ganz einfacher Fall.

Anmerkung zu EuGH Rs. C-359/09 vom 3.2.2011
Jüngst entschied der EuGH in der Rechtssache C-359/09 – Donat Cornelius Ebert gegen die Budapesti Ügyvédi Kamara, die Budapester Anwaltskammer – eine Frage von erheblicher praktischer Relevanz. Es ging hier einerseits um die für die grenzüberschreitende Tätigkeit von Rechtsanwälten höchst bedeutende Frage, welchen rechtlichen Bedingungen „einwandernde“ Rechtsanwälte im Aufnahmestaat unterworfen sind, und andererseits ganz allgemein um das Verhältnis zweier Richtlinien mit ähnlichem Anwendungsbereich: der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, in der durch die Richtlinie 2001/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Mai 2001 geänderten Fassung sowie der Richtlinie 98/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 1998 zur Erleichterung der ständigen Ausübung des Rechtsanwaltsberufs in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Qualifikation erworben wurde.

Der Sachverhalt:
Ein deutscher Staatsangehöriger erwarb mit seiner Zulassung als Rechtsanwalt in Düsseldorf im Jahre 1997 das Recht, diese Berufsbezeichnung, „Rechtsanwalt“, zu führen. Ende der 1990er Jahre verschlug es ihn nach Ungarn, wo er 2004 in das Verzeichnis der europäischen Juristen nach dem ungarischen Rechtsanwaltsgesetz eingetragen wurde. Soweit ist alles eindeutig. Im Folgenden wird der Sachverhalt allerdings ein wenig unklar: entweder begehrte der deutsche Rechtsanwalt vom Hauptstädtischen Gericht in Budapest (Fővárosi Bíróság) die Feststellung seines Rechts, die ungarische Berufsbezeichnung „ügyvéd“ (= dt. Rechtsanwalt) zu führen, was ihm das Gericht genauso wie das angerufene Rechtsmittelgericht, das Hauptstädtische Tafelgericht (Fővárosi Ítélőtábla), versagte (Rn. 21 ff.) oder aber er stellte lediglich beim ungarischen Ministerium für Bildung und Kultur einen Antrag auf Durchführung einer Eignungsprüfung, die ihn zur Führung der ungarischen Berufsbezeichnung als „ügyvéd“ berechtigt hätte, der jedoch weder vom Ministerium noch von der Budapester Anwaltskammer, an die der Antrag weitergeleitet worden war, beschieden wurde. In diesem Fälle hätte er wohl das Hauptstädtische Gericht wegen der Untätigkeit dieser beiden Einrichtungen mit dem Fall befasst (Rn. 24 ff.).
Jedenfalls gelangte der Fall im Rahmen eines Vorabentscheidungsersuchens nach Art. 234 EG (nunmehr Art. 267 AEUV) vor den EuGH.

Das Urteil des EuGH:
In seinem Urteil nimmt sich der EuGH nun der eingangs bereits erwähnten beiden Fragen nach den rechtlichen Rahmenbedingungen, unter denen ein ausländischer Rechtsanwalt in einem anderen Staat tätig werden kann , sowie nach dem Verhältnis der beiden einschlägigen Vorschriften des Europarechts, der Richtlinie 89/48/EWG in ihrer neuesten Fassung sowie der Richtlinie 98/5/EG an. Dabei fällt bereits im Rubrum auf, dass die europäische Gerichtsbarkeit diesen Fall ganz offenbar als nicht sonderlich fordernd anzusehen scheint, da nach Anhörung des Generalanwalts Cruz Villalón gemäß Art. 20 V Satzung des Gerichtshofes (Protokoll Nr. 3 zu den Gründungsverträgen) der Beschluss erging, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden. Dies geschieht nur dann, wenn der Gerichtshof der Auffassung ist, dass der Fall keine neuen Rechtsfragen aufwirft.
Ein ganz einfacher Fall also?
Mag sein. Dennoch ist er von einiger Bedeutung im für die grenzüberschreitende Tätigkeit von Rechtsanwälten in der Europäischen Union, denn dieses Urteil des EuGH stellt einiges klar: Immerhin werden hier die Rahmenbedingungen abgesteckt, in denen sich Rechtsanwälte in anderen Mitgliedstaaten niederlassen können und welche europarechtlichen Rechtsvorschriften dabei auf sie anwendbar sind.
Das Verhältnis der Richtlinien zueinander
Zunächst beschäftigt sich der EuGH mit der Frage, ob die beiden genannten Richtlinien in einem Exklusivitätsverhältnis infolge der Spezialität der einen Richtlinie gegenüber der anderen stehen oder ob beide parallel Anwendbarkeit auf Fälle von grenzüberschreitend tätigen Rechtsanwälten beanspruchen können. Der EuGH kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass sich beide Richtlinien ergänzen und nebeneinander anwendbar seien. Sie eröffneten somit einwanderungswilligen Rechtsanwälten zwei Wege, um im Aufnahmemitgliedstaat unter der dortigen Berufsbezeichnung als Rechtsanwalt tätig zu werden (Rn. 35). Er begründet dies nicht zuletzt mit den verschieden zugeschnittenen Anwendungsbereichen der beiden Richtlinien, die einem zuwanderungswilligen Rechtsanwalt in unterschiedlichen Situationen unterschiedliche Möglichkeiten der Anerkennung seiner Qualifikation ermöglichen (Rn. 32 f.).
Das auf Rechtsanwälte anwendbare Recht des Aufnahmestaats
Im Anschluss an diese eher normhierarchischen Ausführungen widmet sich der EuGH der als ersten Vorlagegegenstand eingereichten Frage, ob die genannten Richtlinien 89/48 und 98/5 einer nationalen Regelung entgegenstehen, die die (Pflicht-)Mitgliedschaft zuwandernder Rechtsanwälte in den nationalen Standesorganisationen wie etwa einer Rechtsanwaltskammer vorsieht. Zunächst verweist der EuGH auf den in RL 89/48 niedergelegten Grundsatz der Inländergleichbehandlung, der zuwandernden Rechtsanwälten die Aufnahme einer einschlägigen Berufstätigkeit unter denselben Bedingungen zusichert, wie sie auch für einheimische Rechtsanwälte gelten (Rn. 37). Damit geht einher, dass zuwandernde Rechtsanwälte nach der Richtlinie 89/48 etwa auch dem Berufs- und Standesrecht ihrer einheimischen Kollegen unterliegen (Rn. 38) und dies nach der Richtlinie 98/5 selbst dann, wenn sie unter der Berufsbezeichnung ihres Herkunftslands tätig sind (Rn. 39). Dies geht letztlich auf den Harmonisierungsansatz zurück, den die Richtlinie 98/5 verfolgt: Für den Bereich der Eintragung als Rechtsanwalt strebt sie eine Vollharmonisierung an, um auf diesem Wege die Unterschiedlichkeit der jeweiligen nationalen Vorschriften weitestgehend aus der Welt zu schaffen (EuGH Rs. C-225/09, Rn. 55 f.). Das jeweils nationale Berufs- und Standesrecht hingegen sollte vermittels dieser Richtlinie gar nicht harmonisiert werden (EuGH Rs. C-225/09, Rn. 57), so dass insoweit die einwandernden Rechtsanwälte dem Recht ihres Aufnahmestaats unterliegen.
Es bleibt damit festzuhalten:
Ein Mitgliedstaat kann demnach vorsehen, dass einwandernde Rechtsanwälte, die unter der Berufsbezeichnung des Aufnahmemitgliedstaats tätig werden wollen, hierzu Mitglied einer Rechtsanwaltskammer werden müssen (Rn. 42).
Im Übrigen gelten die Richtlinien 89/48 und 98/5 kumulativ bzw. einander ergänzend für die Regelung der Einwanderung von Rechtsanwälten in ein anderen Mitgliedstaat als den, in dem sie ihre Zulassung als Rechtsanwalt erhalten haben.
Ein ganz einfacher Fall.

3 Kommentare:

  1. Ein ganz einfacher, aber sehr interessanter Fall! Ein schöner Beitrag!

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  2. Ein wahrlich einfacher Fall, der aber nicht nur Juristen, sondern jeden Berufsstand betreffen kann, sobald dessen Angehörige den Mut fassen, im Ausland ihr Glück zu versuchen - hier sei nur an einen einige Monate alten Artikel aus dem SPIEGEL verwiesen:
    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-74549658.html

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  3. Ein ganz einfacher Fall, fürwahr! Eine klare, richtige Antwort auf eine einfache, man möchte fast sagen: triviale, Frage. Nur: Der tatsächliche Sachverhalt war ein ganz anderer. Der Kläger – gleichzeitig Verfasser dieser Anmerkung – hatte in dem Ausgangsverfahren einen ganz anderen Antrag gestellt. Es ging darum, den Titel des „ügyvéd” führen zu dürfen, ohne eine Prüfung abzulegen, da der Kläger der Auffassung war, dass die Republik Ungarn die Richtlinie 89/48 nicht umgesetzt habe. Von einer Mitgliedschaft in der Kammer war zunächst nie die Rede gewesen. Erst als die Beklagte sich mit der überaus intelligenten Argumentation verteidigte, der Kläger sei ja gar nicht Mitglied der Kammer, deshalb könne und dürfe er den Titel nicht führen, kam die Sprache überhaupt auf die Mitgliedschaft in der Kammer. Bemerkenswert war die Argumentation der Beklagten insbesondere deswegen, weil die Beklagte selbst stets gesagt hatte, dass sie den Kläger nicht aufnehmen könne und dürfe und daher auch nicht werde. Worauf entgegnet wurde, dass es dem Kläger gleichgültig sei, ob er Mitglied der Kammer werde oder nicht, ihm stehe der Titel zu und zwar ohne Prüfung.

    Dieser Sachverhalt stellte für das vorlegende Gericht offenbar eine intellektuelle Überforderung dar, ebenso auch wie für die Beklagte, die im Folgenden stets nur mit der Mitgliedschaft argumentiert hat („wir nehmen den Kläger nicht auf, deswegen darf er den Titel auch nicht führen”).

    In der mündlichen Verhandlung erläuterte der Kläger dann erneut mit sehr klaren Worten, dass es ihm überhaupt nicht darum gehe, ohne Mitgliedschaft in der Kammer den Titel zu erhalten, sondern darum, ohne Prüfung den Titel zu erhalten. Und dass er die Pflichtmitgliedschaft in der Kammer niemals habe in Frage stellen wollen. Woraufhin der Vertreter der Beklagten offenbar erstmals verstand, worum es ging und erklärte, wenn das so sei, dann werde man den Kläger gerne aufnehmen. Was auch später schriflich angeboten wurde.

    Anschließend folgten zwei Überraschungen: Der EuGH verhält sich so, als habe nie eine mündliche Verhandlung stattgefunden und behandelt in seinem Urteil eine Frage, die an Überflüssigkeit und Blödigkeit kaum zu überbieten ist (diese Frage beantworten sie allerdings richtig). Und sagt in dem Tatbestand kein einziges Wort darüber, dass der Kläger vorgetragen habe, dass die Frage mit seinem Antrag nichts zu tun habe. Nicht ein Wort hierzu. Nichts.

    Und die beklagte Kammer feiert sich anschließend überraschend auf ihrer Homepage als Gewinnerin dieses Falles und entblödet sich tatsächlich nicht, fünf Rechtsanwälten für ihre Mitarbeit an diesem Rechtsstreit zu danken, die zu diesem Sieg beigetragen haben. Fünf mehr oder weniger namhafte Kollegen, die sich alle nicht die Mühe machen, einmal die Schriftsätze des Klägers zu lesen und offenbar außerstande sind, das eigentliche Problem des Falles zu erkennen? Zu fünft? No comment.

    Fast alle Beteiligten haben hier ein schwaches Bild abgegeben, das schlechteste sicherlich das vorlegende Gericht, welches offenbar nichts verstanden hatte. Und der EuGH? Als bisher überzeugter Anhänger dieser Institution möchte der Verfasser hierzu schweigen. Eine erhebliche Verwunderung kann allerdings nicht verschwiegen werden.

    Und der eigentliche Rechtsstreit vor dem OLG Budapest geht weiter, denn das Verfahren vor dem EuGH über einen Zeitraum von 17 Monaten hat keinerlei Erkenntnisse für die entscheidende Rechtsfrage gebracht. Außer vielleicht, dass die RL 89/48 tatsächlich nicht umgesetzt ist. Das OLG Budapest wird diese Erkenntnis vermutlich kaum zu deuten wissen.

    Und der Verfasser muss jetzt damit leben, dass nun alle seinen zweiten Vornamen kennen, von dem er zuvor nie Gebrauch gemacht hat. Es gibt Schlimmeres.

    Dr. Donat Ebert
    Rechtsanwalt

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