Donnerstag, 30. Dezember 2010

Zur Rolle des Generalanwalts beim EuGH

Was ist Aufgabe eines Generalanwalts beim EuGH? Dies fragen sich wohl kaum nur Laien in der europarechtlichen Diskussion. Das Tätigkeitsfeld scheint - zumindest für deutsche Juristen - weitgehend unklar, was sich leicht damit erklären lässt, dass ein solcher Generalanwalt im deutschen Rechtssystem schlichtweg nicht existiert.  Daher lohnt es sich dessen Aufgaben und Tätigkeitsbereiche näher zu betrachten. Zugleich soll die Rubrik „Grundlagen des Europarechts“ hiermit einen ersten Eintrag erhalten.

Grundsätzlich gibt es am Gerichtshof acht Generalanwälte, wobei fünf von ihnen von den großen alten EU Mitgliedern, Frankreich, Italien, Spanien, dem Vereinigten Königreich und Deutschland gestellt werden. Die restlichen drei werden abwechselnd von den übrigen Mitgliedstaaten besetzt. Anbetracht der Größe und Anzahl der Mitgliedstaaten wird sich aber auf lange Sicht hier eine Veränderung der Zusammensetzung ergeben, insbesondere Polen einen ständigen Generalanwalt erhalten müssen.

Der Generalanwalt soll laut Art. 252 Abs. 1 AEUV den Gerichtshof in seiner Arbeit unterstützen. Wie diese Unterstützung aussehen kann wird durch die Formulierung des Art. 252 Abs. 2 AEUV konkretisiert, der festlegt, dass der Generalanwalt verpflichtet ist in völliger „Unparteilichkeit und Unabhängigkeit“, zu bestimmten Rechtssachen bei denen seine Mitwirkung erforderlich ist, begründete Schlussanträge zu stellen hat.

Die „unterstützende“ Tätigkeit des Generalanwalts lässt sich zum einen durch besondere Mitwirkungs- und Anhörungsrechte bestimmen. So muss er grundsätzlich vor allen Verfahrensentscheidungen angehört werden. Dies kann z.B. die Verbindung von Rechtssachen oder eine Verfahrensaussetzung betreffen. Ferner muss er dem „rapport préable“ (Vorbericht) des Bericht erstattenden Richters zustimmen, der für die Zuteilung der Rechtssache an die einzelnen Kammern oder das Plenum erforderlich ist. Hier kann der Generalanwalt somit bei bedeutenden Rechtssachen darauf drängen, dass diese durch die großen Kammern oder das Plenum zu entscheiden sind.

Die Hauptaufgabe des Generalanwalts besteht jedoch darin, den Schlussantrag zu stellen. Dieser wird, wie sein Name schon sagt, erst zum Ende der Verhandlung vom Generalanwalt verlesen und bildet den Abschluss des mündlichen Verfahrens. Er gleicht vom Aufbau her einem, dem deutschen Rechtsreferendar vertrautem, gutachterlichem Votum. Er beginnt vorab mit einer kurzen Sachverhaltsschilderung und dem Vorbringen der Parteien, an die sich eine rechtliche Würdigung des Falles anschließt und der schließlich mit einem Entscheidungsvorschlag endet.
Den Schlussantrag verfasst der Generalanwalt in seiner eigenen Muttersprache. Er soll die Rechtssache von einer unabhängigen Seite auf eine fundierte juristische Grundlage stellen. Hierbei soll der Generalanwalt die bisher zu diesem Problem ergangene Rechtsprechung berücksichtigen. Insbesondere soll er den Rechtsstreit aus einer rechtsvergleichenden Perspektive in den übergreifenden Kontext der Rechtsprechung des Gerichtshofes einordnen, was aufgrund der unterschiedlichen nationalen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten notwendig ist und dem zuständigen Spruchkörper somit eine unerlässliche Arbeitserleichterung bietet. Der Generalanwalt fungiert diesbezüglich als wichtiges Bindeglied zwischen Lehre und Praxis.

Dem Entscheiddungsvorschlag des Generalanwalts kann das Gericht folgen, oder auch nicht. Es ist in seiner Entscheidung frei. Dennoch entspricht das Urteil in 80 % der Fälle dem Schlussantrag.
Die Arbeit des Generalanwalts ist daher nicht frei von Kritik. Insbesondere das fehlende Erwiderungsrecht der Parteien auf den verlesenden Schlussantrag führte in der Literatur immer wieder zu erheblichen Kontroversen und wird gar von einigen als Verstoß gegen Art. 6 EMRK, dem Recht auf ein faires Verfahren bzw. ausreichendem rechtlichen Gehör, bewertet. Wie sich dieser Konflikt nach dem Beitritt der EU zur EMRK entwickeln wird, bleibt spannend. Auch wird die immense Arbeitsbelastung, der im Vergleich zur Anzahl der Richter schlecht bestückten Generalanwälte, zu möglichen Veränderungen beitragen.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es sich beim Generalanwalt um ein unabhängiges Mitglied des Gerichts handelt, dessen Aufgaben unterstützenden Charakter aufweisen, wobei seine Hauptaufgabe die Stellung der Schlussanträge zu jeweils bestimmten Rechtssachen ist. Seine Tätigkeit, insbesondere die von ihm erarbeiteten Schlussanträge, stellen eine immense Arbeitserleichterung für den Gerichtshof dar und garantieren eine vertiefte Auseinandersetzung mit den jeweils unterschiedlichen nationalen Rechtsordnungen und dem Europarecht.

Literatur:
Als besonders empfehlenswert soll an dieser Stelle der Aufsatz von Christian Kovács, LL.M. - unserem ehemaligen Fakultätsmitarbeiter - genannt werden: „Der Generalanwalt am Gerichtshof der Europäischen Union“, JA 8-9, 2010, S. 625 ff.

Ebenso empfehlenswert: Juliane Kokott, „Anwältin des Rechts: zur Rolle der Generalanwälte beim Europäischen Gerichtshof“; Referat im Rahmen der Vortragsreihe "Rechtsfragen der europäischen Integration" Bonn, den 06.02.2006 / Juliane Kokott; Bonn: Zentrum für Europäisches Wirtschaftsrecht, 2006.

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